Wer lernt mir Deutsch?

Eine Jahresabschluss- und Weihnachtskolumne von André Richter, 2005


Wer vor ein paar Jahren von der neuen Rechtschreibreform sprach, konnte schon von einem akkuraten und detailverliebten Germanisten oder Sprachfetischisten zurecht gewiesen werden, dass es sich bei der Reform bereits um die neue Rechtschreibung handelt. Inzwischen kann der neue rechtschreibreformte Deutsche ohne Scheu von der neuen Rechtschreibreform sprechen, welche seit Wochen und Monaten erweitert, korrigiert, ergänzt, verbessert oder eben reformiert wird – ein Land mit vielen Sprachen und noch mehr Rechtschreibvielfalt. Manch einer würde sich diese Reformwut gern in der Politik und Wirtschaft wünschen, statt zu überlegen, ob es nun heißt, alle oder die ganzen Politiker haben parlamentarisch deutlich unter ihrem Niveau gearbeitet, jedoch deutlich über ihrem Niveau verdient.
Doch waren Rechtschreibregelung und Kanzlervertrauen nicht auch der Grund für die weiter reale Orientierungslosigkeit unseres Landes, realistisch gesehen? Oder lieferten sie lediglich die reelle Ursache dafür, dass der Bundesfinanzminister in Zukunft seine Telefonrechnung selbst zahlen muss, weil Herr Eichel die letzten Leitungen zum Magentariesen kappte? In den nächsten Jahren werden die Ministerien vielleicht auch noch die Post persönlich per Fahrradkurier austragen, wenn dann auch die Post ganz oder völlig privat ist. Somit ist Deutschlands Tafelsilber verramscht, die 3%-EU-Defizithürde für die nächsten Jahre wieder überboten und das Parteienmonopoly in Schwung gehalten.
Seit Mitte des Jahres hat die Politik eine neue, kräftige Linke, verdiente sie nicht einmal eine kräftige Gerade – mitten ins Gesicht?
Wird sich unser Land für 2006 vielleicht neu definieren müssen, um nach all dem wackeln, kippen und wanken, doch mal wieder festen Halt und Boden zu bekommen? Die Pisastudie hat es unseren Kindern deutlich gezeigt, wie schnell man vom hohen Wissenssockel fallen kann, wenn die Politik einen unsicheren Bildungsuntergrund bereitet, Eltern ihre Kinder sich selbst überlassen und Perspektivlosigkeit die sicherste Perspektive ist. Auch mit einem deutlich überalterten Deutschland, mit seinen dritten Zähnen, ist eben nicht mehr kraftvoll zuzubeißen und das Land neu zu formen.
Doch kein Grund, die Förmchen zu Reförmchen herabzuwürdigen. Mit „Goleo“, dem Maskottchen der Fußball-WM in Deutschland, zeigen wir der ganzen Welt, wie bissig wir noch immer sind und unsere alten Weggefährten Adler und Bär dem typisch deutschen Siegerlöwen weichen mussten.
Es bewegt sich eben doch etwas in Deutschland – 2006 wird wieder neu begonnen, mit den Zielen, mit den Reformen und mit der neuen Deutschen Sprache.